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Massenentlassung unwirksam, weil Anhörung des Betriebsrats versäumt

Montag, 03.02.2020

Als Interessenvertretung der Belegschaft muss der Betriebsrat vor jeder Kündigung eines Arbeitnehmers angehört werden. Im Rahmen einer Massenentlassung sind Arbeitgeber und Betriebsrat meist ohnehin im ständigen Austausch. Der Betriebsrat muss dann aber klar erkennen können, wann die Anhörung beginnt. Verhandlungen über einen Interessenausgleich können daher nicht als Anhörung gewertet werden.

So hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm am 22. Januar 2020 entschieden.

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei betriebsbedingter Kündigung

Bei der Kündigung eines Arbeitnehmers muss der Betriebsrat zuvor angehört werden, § 102 Abs. 1 S. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese dem Arbeitgeber innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen.

Er kann ihr auch widersprechen. Als Widerspruchsgründe des Betriebsrats kommen z.B.

  • eine fehlerhafte Sozialauswahl durch den Arbeitgeber
  • und eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers in demselben oder einem anderen Betrieb desselben Unternehmens in Betracht.

Der Widerspruch des Betriebsrats hat jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Kündigung. Er hat lediglich zur Folge, dass der Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses weiterbeschäftigt werden muss.

Spricht der Arbeitgeber die Kündigung aber ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats aus, ist diese unwirksam.

 

Massenentlassung ohne Anhörung des Betriebsrats

Im entschiedenen Fall wurde rund 300 von ca. 460 Beschäftigten eines Unternehmens der Automobilbranche fristgerecht gekündigt. Dies begründete die Arbeitgeberin mit dem Verlust von Aufträgen der Hauptkundin, der Volkswagen AG. 180 der betroffenen Beschäftigten gingen erfolgreich gegen ihre Kündigungen vor: Das Arbeitsgericht Hagen urteilte in erster Instanz, die für jede einzelne Kündigung erforderliche Anhörung des Betriebsrats sei von der Arbeitgeberin nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Damit seien die Kündigungen unwirksam. Dieser Auffassung schloss sich das Landesarbeitsgericht Hamm in zweiter Instanz nun an. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.

 

Verhandlungen über Interessenausgleich sind keine Anhörung

Der Arbeitgeber argumentierte vor Gericht, dass er mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich gemäß § 113 Abs. 1 BetrVG verhandelt habe. Entsprechend sei der Betriebsrat über alle Umstände im Bilde gewesen. Das Landesarbeitsgericht führte hingegen aus, dass diese Verhandlungen nicht automatisch als eine Anhörung des Betriebsrats zu werten seien. Vielmehr müsse für den Betriebsrat klar erkennbar sein, wann genau und mit welchem Sachstand der Arbeitgeber die gesetzlich geforderte Anhörung einleiten wolle. Dies sei erforderlich, weil dem Betriebsrat lediglich eine kurze Frist zum Widerspruch zur Verfügung stehe. Aus Gründen der Rechtssicherheit müsse daher ersichtlich sein, wann die Frist beginne. Mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats seien die ausgesprochenen Kündigungen damit unwirksam.

 

Fazit

Auch und gerade bei Massenentlassungen gilt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Wird dieser nicht zuvor ordnungsgemäß angehört, sind die ausgesprochenen Kündigungen unwirksam. Verhandlungen über einen Interessenausgleich können grundsätzlich nicht zugleich als Anhörung des Betriebsrats gesehen werden.

Natürlich kann der Arbeitgeber bei solchen formalen Fehlern einfach eine neue Kündigung aussprechen. Ist diese wirksam, verliert der Arbeitnehmer schlussendlich doch seinen Arbeitsplatz. Allerdings kann er in jedem Fall für die Zeit bis zum Ausspruch der zweiten (wirksamen) Kündigung Lohn verlangen. Diese Zeitspanne beträgt häufig mehrere Monate.

 

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 22.01.2020 – 3 Sa 1194/19.