Trennlinie

Sind Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters zu bezahlen?

Montag, 30.03.2020

Grundsätzlich erhalten Arbeitnehmer keine Vergütung für die Fahrtzeiten zur Arbeit und nach Hause. Bei bestimmten Berufsgruppen können jedoch andere Regeln gelten. Außerdem ist entscheidend, was die geltenden Tarifverträge vorsehen.

Wenn ein Tarifvertrag die Vergütung der Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters vorsieht, darf davon nicht durch Betriebsvereinbarung abgewichen werden.

So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 18. März 2020 entschieden.

Zum Hintergrund: Bezahlung von Fahrtzeit zur Arbeit und nach Hause

Vergütung von FahrtzeitenGrundsätzlich zählen die Fahrtzeiten des Arbeitnehmers zur Arbeit und nach Hause nicht zur Arbeitszeit.

Etwas anderes kann aber für Außendienstmitarbeiter gelten, die von zu Hause aus direkt zum Kunden fahren.

In einem Fall aus dem Jahr 2018 hat das Gericht etwa über die Fahrtzeiten eines Aufzugsmonteurs entschieden. Grundsätzlich gilt nach Ansicht des BAG die An- und Abfahrtszeit von Außendienstmitarbeiten zum Kunden bzw. nach Hause als Arbeitszeit. Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann aber festgelegt werden, dass diese Zeiten nicht gesondert vergütet werden, solange insgesamt der Mindestlohn nicht unterschritten wird. Im Fall des Aufzugsmonteurs beispielsweise gab es nach dem Tarifvertrag eine Pauschale für Montageeinsätze im Nahbereich und keine Vergütung der Fahrtzeiten an sich. Das BAG erklärte dieses Modell für zulässig.

Keine Bezahlung von An- und Abfahrtszeiten unter 20 Minuten

Der Arbeitnehmer ist bei der Arbeitgeberin im Außendienst beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis gelten die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen. Unabhängig davon ist in einer Betriebsvereinbarung geregelt, wann An- und Abfahrtszeiten der Außendienstmitarbeiter als Arbeitszeit gelten. Die Vereinbarung sieht vor, dass die Anfahrt zum ersten und die Abfahrt vom letzten Kunden nur dann als Arbeitszeit gezählt werden, wenn sie jeweils länger als 20 Minuten dauern. Dementsprechend hat die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer An- und Abfahrtszeiten unter 20 Minuten nicht auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben und auch nicht vergütet.

Nun verlangt der Arbeitnehmer mit seiner Klage insgesamt eine Gutschrift von 68 Stunden und 40 Minuten auf seinem Arbeitszeitkonto oder hilfsweise die Zahlung von 1.219,58 € brutto nebst Zinsen für An- und Abfahrtszeiten aus sechs Monaten. Die Arbeitgeberin hingegen meint, ein solcher Anspruch sei durch die Betriebsvereinbarung ausgeschlossen.

Das Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab.

Tarifvertrag geht vor

Das BAG gab dem Arbeitnehmer Recht. Er erfülle mit den in Frage stehenden Fahrten seine Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsvertrag. Daher bestehe ein Anspruch auf Vergütung dieser An- und Abfahrtszeiten, auch soweit sie kürzer als 20 Minuten seien.

Die Betriebsvereinbarung schließe diesen Anspruch nicht wirksam aus. Es bestehe diesbezüglich ein Widerspruch zu tarifvertraglichen Regelungen. Nach dem geltenden Manteltarifvertrag seien nämlich alle Tätigkeiten, die der Arbeitnehmer zur Erfüllung seiner Hauptleistungspflicht erbringe, mit dem tariflichen Satz zu vergüten. Das gelte auch für alle An- und Abfahrtszeiten der Außendienstmitarbeiter. Wenn aber Arbeitsentgelte durch Tarifvertrag geregelt seien, dürfen Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 3 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nicht davon abweichen. Wegen der bindenden tarifvertraglichen Regelungen bestehe außerdem kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 BetrVG, welches eine Betriebsvereinbarung hätte zulassen können.

Fazit

Diese Entscheidung betrifft weniger die allgemeine Frage der Vergütung von Wegzeiten zur Arbeitsstätte, sondern beschäftigt sich vor allem mit dem Verhältnis zwischen Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Deshalb lässt sich das Ergebnis nicht ohne weiteres auf andere Fälle übertragen. Entscheidend ist die Natur der jeweiligen Tätigkeit und der Inhalt der geltenden Tarifverträge.

Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 18.03.2020, Az. 5 AZR 36/19.