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Urlaub nicht beantragt: Entfällt deshalb Anspruch auf Urlaub?

Montag, 19.11.2018

Ein Arbeitnehmer verliert seinen Urlaubsanspruch nicht automatisch, weil er seinen Urlaub nicht beantragt hat. Ein Verlust des Anspruchs kommt nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber beweisen kann, dass der Arbeitnehmer freiwillig und in Kenntnis seiner Rechte auf den Anspruch verzichtet hat.

So entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 06.11.2018.

Die Entscheidung steht im Widerspruch zur gängigen Praxis im deutschen Arbeitsrecht. Daher besteht Handlungsbedarf für viele Arbeitgeber.

Zum Sachverhalt: Oberverwaltungsgericht und Bundesarbeitsgericht wenden sich an EuGH

Urlaub nicht beantragtIm konkreten Fall absolvierte der Kläger seinen juristischen Vorbereitungsdienst als Rechtsreferendar beim Land Berlin. Während der letzten Arbeitsmonate nahm er keinen bezahlten Urlaub. Nach dem Ende der Beschäftigung verlangte er eine finanzielle Vergütung für die nicht in Anspruch genommenen Urlaubstage. Das Land Berlin lehnte ab. Dagegen wehrte sich der ehemalige Rechtsreferendar beim Verwaltungsgericht.

Gleichzeitig ging ein Fall vor das Arbeitsgericht, in dem der betroffene Arbeitnehmer etwa zwei Monate vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses seinen Arbeitgeber darum bat, die restlichen Urlaubstage nehmen zu dürfen. Er machte daraufhin zwei Tage Urlaub und beantragte eine Vergütung für die restlichen, nicht genommenen, Urlaubstage. Auch hier lehnte der Arbeitgeber ab.

Sowohl das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg als auch das Bundesarbeitsgericht wandten sich an den Europäischen Gerichtshof. Das deutsche Recht sieht nämlich bisher vor, dass Urlaubsansprüche verfallen, sollte der Urlaub nicht beantragt werden (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG). Europarechtliche Vorgaben könnten dem entgegenstehen, so die Richter.

Zur Entscheidung: Kein Verlust, nur weil Urlaub nicht beantragt

Und in der Tat: Der EuGH lehnte einen automatischen Verlust des Resturlaubs ab. Ein solcher Anspruch könne nicht allein daran scheitern, dass vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Urlaub beantragt wurde.

Dies begründet das Gericht wie folgt: Der Arbeitnehmer sei die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses. Es könne ihm daher nicht immer zugemutet werden, noch während des Arbeitsverhältnisses Ansprüche geltend zu machen. Denn in diesem Fall sei teilweise zu befürchten, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer „abstrafe“. Die Rechtsprechung gilt daher erst recht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht kurz vor dem Ende steht (wie das der Kläger).

Der EuGH stellte aber auch klar, dass es Fallkonstellationen gebe, in denen ein Verlust mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer explizit auffordere, Urlaubsansprüche geltend zu machen. Da die Arbeitgeber die Beweislast trügen, sei ihnen zu empfehlen, den Arbeitnehmern eine entsprechende Gelegenheit zur Geltendmachung zu geben.

Fazit und Handlungshinweis

Ein Arbeitnehmer darf seinen Urlaubsanspruch nicht allein deshalb verlieren, weil er keinen Urlaub beantragt hat. Davon ging man im deutschen Arbeitsrecht jedoch bisher aus.

Arbeitgebern ist zu raten, ihre Arbeitnehmer schriftlich zur Geltendmachung des Urlaubs aufzufordern und die Kenntnisnahme zu dokumentieren. Dann, so der EuGH, könne der Urlaubsanspruch grundsätzlich nicht auf das neue Jahr übertragen werden.

Unterbleibt diese Aufforderung, dürfen sich einige Arbeitnehmer darüber freuen, dass sie ihre nicht genommenen Urlaubstage im neuen Jahr, auch nach dem 31. März, nutzen können.

Einige Fragen zu dieser Thematik bleiben noch zu klären. Dazu werden die Gerichte zum Jahreswechsel sicher Gelegenheit finden. Zum Beispiel ist noch nicht abschließend geklärt, inwieweit das Urteil auch vertraglich gewährten Urlaub betrifft, der über das gesetzliche Mindestmaß hinausgeht.

Der EuGH hatte vor einem Jahr schon einmal zum Urlaubsrecht zu urteilen: Er entschied, dass eine unbegrenzte Übertragung und Ansammlung von Urlaubsansprüchen möglich ist, wenn der Arbeitgeber die Urlaubsgewährung bewusst verhindert.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 06.11.2018, Az.: C-619/16 und C-684/16