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EuGH zur Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft

Donnerstag, 17.06.2021

Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft stellt vergütungspflichtige Arbeitszeit dar, wenn die Möglichkeit des Arbeitsnehmers, die Zeit ohne tatsächliche Arbeit frei zu gestalten und eignen Interessen zu widmen, durch auferlegte Einschränkungen des Arbeitgebers objektiv erheblich beeinträchtigt ist, so der europäische Gerichtshof (EuGH).

Was ist überhaupt Bereitschaftsdienst und was ist Rufbereitschaft?

Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Arbeitnehmer sich an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes aufzuhalten hat, um, sobald es notwendig wird, seine Arbeit aufzunehmen. Bereitschaftszeiten sind vergütungspflichtige Arbeitszeit.

Bei der Rufbereitschaft können die Beschäftigten ihren Arbeitsort selbst bestimmen und müssen sich für einen eventuellen Arbeitseinsatz bereithalten. Rufbereitschaft gilt nicht als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitengesetzes. Im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst stellen nur tatsächliche Einsätze vergütungspflichtige Arbeitszeiten dar. Grund hierfür ist, dass Arbeitnehmer in der Rufbereitschaft frei in ihrer Wahl des Arbeitsortes sind und die Rufbereitschaft somit weniger intensiv als Bereitschaftsdienst ist.

Bereitschaftszeit als Rufbereitschaft?

Vorliegen hatte der EuGH in zwei Fällen zu entscheiden, ob die Bereitschaftszeiten der beiden Kläger vergütungspflichtige Rufbereitschaftsdienste darstellen.

Zum einen geht es um einen deutschen Feuerwehrmann, der seine Bereitschaftsdienste zwar außerhalb der Arbeitsstätte verbringt, aber innerhalb von 20 Minuten in Arbeitskleidung und Einsatzfahrzeug die Stadtgrenze erreichen muss (C-580/19).

Zum anderen geht es in der Rechtssache C-344/19 um einen spezialisierten Techniker, der für den Betrieb von Fernsehsendeanlagen in slowenischen Bergen verantwortlich ist und neben seiner regulären Arbeitszeit zusätzlich sechs Stunden Bereitschaftsdienst leistete. In dieser Zeit musste der Techniker zwar nicht in der betreffenden Sendeanlage verbleiben. Er musste jedoch seine telefonische Erreichbarkeit sicherstellen und war dazu verpflichtet, innerhalb einer Stunde zur betroffenen Sendeanalage zurückzukehren. Wegen den schwer zugänglichen Sendeanlagen musste er sich während der Bereitschaftszeit in einer von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Unterkunft aufhalten, die sich unmittelbar in der Nähe zu Sendeanlagen befand.

Die beiden Betroffenen sind der Ansicht, die geleisteten Bereitschaftsdienste stellen Rufbereitschaft dar, die in vollem Umfang als Arbeitszeit zu qualifizieren und somit als Arbeitszeit zu vergüten sei.

Beide nationalen Gerichte legten dem europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vor, inwiefern Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaften als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ im Sinne der EU-Richtlinie 2003/88/EG einzustufen seien.

„Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ schließen sich aus

Der EuGH führte hierzu zunächst aus,  Bereitschaftszeit seien entweder als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ einzustufen, so dass die beiden Begriffe einander ausschließen. Unter „Arbeitszeit“ i.S.d. Richtlinie würden sämtliche Bereitschaftszeiten einschließlich Rufbereitschaften fallen, während derer dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt würden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werde, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen würden.

Der EuGH führte weiter aus, dass es aber Sache der nationalen Gerichte sei, eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls vorzunehmen und anhand dessen über eine Einstufung als Rufbereitschaft zu entscheiden und festzustellen, ob eine Beeinträchtigung der „Freitzeit“ vorliege. Maßgeben sei  Dabei sei vor allem miteinzubeziehen, innerhalb welches Zeitraumes der Arbeitnehmer seine Arbeit aufnehmen muss.

Art und Weise der Vergütung bestimmt sich nach nationalem Recht

Ferner betonte der EuGH, die Frage der Art und Weise der Vergütung von Arbeitnehmern für Bereitschaftszeiten sei nicht von der EU-Richtline erfasst. Maßgeblich für die Art und Weise der Vergütung seien somit innerstaatliche Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder Regelungen des Arbeitgebers. Da die EU-Richtline hierzu keine Regelung enthalte, stehe die Anwendung des nationalen Rechts der Richtlinie auch nicht entgegen.

EuGH Urt. v. 9.3.2021 – C-344/19

EuGH Urt.v. 9.3.2021 – C – 580/19