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Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Freitag, 24.09.2021

Kündigen Arbeitnehmer:innen ihr Arbeitsverhältnis und legen ihren Arbeitgeber:innen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die auf den Tag der Kündigung datiert ist und eine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende der Kündigungsfrist bescheinigt, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern.

So entschied kürzlich das Bundesarbeitsgericht.

 

Grundsätzliches zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Während einer Erkrankung erhalten Arbeitnehmer:innen grundsätzlich für sechs Wochen Lohnfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz. Die Voraussetzungen dafür sind unter anderem, dass die Arbeitnehmer:innen hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit kein Verschulden trifft und das Arbeitsverhältnis mindestens vier Wochen bestand.

Die Arbeitnehmer:innen müssen darlegen und beweisen, dass sie tatsächlich arbeitsunfähig waren. Dafür reicht es grundsätzlich aus, dass sie eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Diese hat nach der Rechtsprechung einen hohen Beweiswert.

Den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung können Arbeitgeber:innen allerdings dadurch erschüttern, dass sie tatsächliche Umstände darlegen, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Dies führt dazu, dass die volle Beweislast für die Arbeitsunfähigkeit wieder bei den Arbeitnehmer:innen liegt. Dem können sie gerecht werden, indem sie vor Gericht detailliert zur Arbeitsunfähigkeit vortragen, die behandelnden Ärzt:innen als Zeugen benennen und diese von ihrer Schweigepflicht entbinden. Die Ärzt:innen werden anschließend zur Diagnose, dem Krankheitsverlauf und den Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit am konkreten Arbeitsplatz befragt. Verbleibende Zweifel gehen zulasten der Arbeitnehmer:innen.

Fall des Bundesarbeitsgerichts

In dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall war die Klägerin bei der Beklagten seit Ende August 2018 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 8. Februar 2019 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 22. Februar 2019. Außerdem legte sie der Beklagten eine auf den 8. Februar datierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 22. Februar 2019 bescheinigte. Die Beklagte sah den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert an, da diese sich passgenau auf die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses beziehe und verweigerte aus diesem Grund die Entgeltfortzahlung. Die Klägerin machte demgegenüber geltend, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und erhob eine auf Entgeltfortzahlung gerichtete Zahlungsklage. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt.

Dagegen wandte sich die Beklagte mit der Revision. Diese hatte Erfolg. Die Klägerin habe die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit zwar zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Der Beklagten sei es jedoch gelungen, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Die Koinzidenz zwischen der Kündigung vom 8. Februar zum 22. Februar 2019 und der am 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründe einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin habe also substantiiert darlegen und beweisen müssen, dass sie tatsächlich arbeitsunfähig war. Dies sei ihr im Prozess nicht gelungen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21

(Pressemitteilung des BAG)