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Ist eine außerordentliche Kündigung wegen Alkoholerkrankung wirksam?

Montag, 04.11.2019

Langzeitige Erkrankungen stellen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine schwierige Situation dar. Einerseits ist der Arbeitnehmer in einer verletzlichen Lage und verdient besonderen Schutz. Andererseits kann der dauerhafte Ausfall der Arbeitskraft große Schwierigkeiten für den Betrieb des Arbeitgebers bedeuten. Ist aufgrund einer negativen Gesundheitsprognose (z.B. bei einer Alkoholerkrankung) zu erwarten, dass der Arbeitnehmer nur noch ca. 10 % der Arbeitstage arbeitsfähig sein wird und werden dadurch betriebliche Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigt, so kann der Arbeitgeber wirksam außerordentlich kündigen.

So hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg am 24. Juli 2019 entschieden.

Langzeitige Arbeitsunfähigkeit wegen Alkoholerkrankung

AlkoholerkrankungDie Arbeitnehmerin ist als Verwaltungsangestellte bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Sie ist alkoholabhängig und einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin gleichgestellt. Aufgrund ihrer Erkrankung war die Arbeitnehmerin in den letzten vier Jahren im Schnitt 236 Tage im Jahr arbeitsunfähig. Sie wurde in dieser Zeit 16 Mal stationär im Krankenhaus aufgenommen. Entwöhnungsversuche brach die Arbeitnehmerin ab oder sie wurde kurz danach rückfällig. Gespräche mit der betrieblichen Suchthilfe fanden regelmäßig nicht statt, weil die Arbeitnehmerin nicht erschien.

Nach zwei Abmahnungen kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Zustimmung des Integrationsamtes und mit einer sozialen Auslauffrist.

Gegen diese Kündigung erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht gab ihr Recht. In nächster Instanz vor dem LAG bekam allerdings die Arbeitgeberin Recht.

Außerordentliche Kündigung wegen Alkoholerkrankung gerechtfertigt

Das LAG entschied, dass die außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB wirksam sei.

Die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung sei in drei Stufen zu prüfen. Die erste Stufe erfordere eine negative Gesundheitsprognose. Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Vergangenheit seien für diese Prognose ein Indiz. Auf der zweiten Stufe sei zu bestimmen, ob die voraussichtlichen Fehlzeiten betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigen. Die dritte Stufe erfordere eine Abwägung zwischen den Interessen der Arbeitgeberin und der Arbeitnehmerin. Nur wenn die Arbeitgeberin die Beeinträchtigungen nach dieser Abwägung nicht mehr hinnehmen müsse, könne die Kündigung wirksam sein.

Diese Kriterien seien hier erfüllt. Zunächst sei wegen der erheblichen Fehlzeiten der Arbeitnehmerin von einer negative Gesundheitsprognose auszugehen (erste Stufe).

Die Kündigung erfülle auch die Voraussetzungen der zweiten Stufe, da die Interessen der Arbeitgeberin in erheblichem Maße beeinträchtig seien. Es sei in Zukunft höchstens an 10 % der Arbeitstage zu erwarten, dass die Mitarbeiterin arbeitsfähig sei. Unter diesen Umständen sei das Arbeitsverhältnis „sinnentleert“. Die Einplanung der Arbeitsleistung sei nicht mehr möglich.

Auch die Interessenabwägung auf der dritten Stufe falle zulasten der Arbeitnehmerin aus. Zwar stünden auf ihrer Seite ihr hohes Lebensalter, ihre lange Betriebszugehörigkeit und ihre Gleichstellung mit schwerbehinderten Arbeitnehmern. Allerdings überwiege das Interesse der Arbeitgeberin aufgrund der vollständigen Sinnentleerung des Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitgeberin profitiere praktisch nicht von dem Arbeitsverhältnis. Deshalb sei es ihr nicht zumutbar, die Arbeitnehmerin bis zum Rentenalter zu beschäftigen. Auch die mehrfach fehlgeschlagenen Therapieversuche seien zulasten der Arbeitnehmerin zu berücksichtigen.

Fazit

Eine Alkoholerkrankung eines Mitarbeiters berechtigt den Arbeitgeber mitunter zur Kündigung. Bei einer besonders schweren Sucht kann der Arbeitgeber sogar außerordentlich kündigen. Auch die lange Betriebszugehörigkeit, ein hohes Lebensalter und eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Personen helfen dem Arbeitnehmer in diesem Fall nicht mehr.

Besonders bei krankheitsbedingten Kündigungen kommt es allerdings auf den Einzelfall an. Pauschale Aussagen über die Kündigung wegen einer Alkoholerkrankung sind daher nicht möglich.

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24.07.2019, Az. 15 Sa 2498/18