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Gesetzlicher Mindestlohn für entsandte Betreuungskräfte in Privathaushalten

Dienstag, 29.06.2021

Nach Deutschland entsandte ausländische Pflegekräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Personen wohnen muss und grundsätzlich dazu verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten. Das entschied kürzlich das Bundesarbeitsgericht (BAG).

Die Parteien streiten um die Vergütung von Arbeitszeit bzw. Bereitschaftsdienst nach dem deutschen Mindestlohngesetz.

Pflegekraft klagt Mindestlohn ein

Die Klägerin ist bulgarische Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Bulgarien. Seit 2015 war sie bei der Beklagten, einem bulgarischen Unternehmen mit Sitz in Bulgarien, als Sozialassistenz beschäftigt. Sie erhielt einen Arbeitsvertrag, abgefasst in bulgarischer Sprache, mit einer Arbeitszeit von 30 Wochenstunden. Die Wochenenden sollten arbeitsfrei sein. Die Klägerin wurde nach Berlin versandt und arbeitete gegen eine Nettovergütung von 950,00 EUR im Haushalt einer 90-jährigen Frau, bei der sie auch ein Zimmer bewohnte. Der Einsatz der Klägerin erfolgte auf der Grundlage eines Dienstvertrages, in dem sich die Beklagte verpflichtet, Betreuungsleisten durch ihre Mitarbeiter zu erfüllen. Zu den Aufgaben der Klägerin gehörte neben den üblichen Haushaltstätigkeiten auch eine „Grundversorgung“, wie die Hilfe bei der Hygiene und beim Ankleiden. Soziale Aufgaben waren ebenfalls von der Betreuung mitumfasst.

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe eine weitere Vergütung nach dem Mindestlohngesetz zu. Sie habe weitaus mehr als 30 Wochenstunden gearbeitet, nämlich rund um die Uhr bzw. sei zumindest in Bereitschaft gewesen. Nachts habe ihre Zimmertür offen bleiben müssen, damit sie auf das Rufen hin der betreuenden Person Hilfe habe leisten können. Für den Zeitraum Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015 verlangt die Klägerin die Zahlung von 42.636,00 EUR.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie schulde nur eine Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohnes für die vereinbarten 30 Wochenstunden. Bereitschaftsdienst sei nicht vereinbart worden. Sollte die Klägerin mehr gearbeitet haben, sei dies nicht auf Veranlassung der Beklagten geschehen, so dass sie die zusätzliche Arbeitszeit nicht vergüten müsse.

Das Arbeitsgericht Berlin gab der Klage der Klägerin statt. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg änderte das Urteil insoweit ab, als dass der Klägerin nur 21 Stunden täglich zu vergüten seien. Gegen die Entscheidung des LAG legten beide Parteien Rechtsmittel ein. Das BAG verwies zwar an das LAG zurück, äußerte sich aber wie folgt zum Sachverhalt:

Gesetzlicher Mindestlohn auch für entsandte Pflegekräfte

Das Gericht entschied, dass die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes nach § 20 MiLoG i.V.m. § 1 MiLoG auch für ausländische Arbeitgeber gelte, wenn sie Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden. Hierbei handelt es sich um Eingriffsnormen i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gelten, ob ansonsten auf das Arbeitsverhältnis deutsches oder ausländisches Recht Anwendung findet. Das BAG führte weiter aus, dass die Sache an das LAG zurückzuweisen sei, um den Sachverhalt weiter aufzuklären, in welchem Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst leisten musste und wieviel Freizeit sie tatsächlich hatte. Das die Klägerin mehr als 30 Wochenarbeitsstunden arbeiten musste, dürfte nach Aktenlage nicht völlig fernliegend sein, führte das BAG weiter aus. Ein solcher Bereitschaftsdienst könne darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen müsse und grundsätzlich verpflichtet sei, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten. „Auch Bereitschaftsdienstzeit ist mit dem vollen Mindestlohn zu vergüten“, sagte der Vorsitzende in der Verhandlung.

Fazit: Das LAG muss den Sachverhalt zwar erneut prüfen. Klar ist jedoch, dass auch entsandte Betreuungskräfte in Privathaushalten einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben und dieser auch für Bereitschaftszeiten gilt.  Inwieweit das Geschäftsmodell, ausländische Pflegekräfte nach Deutschland zu entsenden bei höheren Lohnkosten Bestand haben wird, bleibt somit abzuwarten.

BAG, Urt. v. 24.Juni 2021 – 5 AZR 505/20