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Videoüberwachung im Betrieb und fristlose Kündigung

Dienstag, 04.07.2023

In vielen Unternehmen gibt es Videoüberwachungen, die regelmäßig zum Schutz der Betriebsräumlichkeiten vor unbefugten Dritten, aber auch zur Überwachung der Redlichkeit der Mitarbeiter eingesetzt werden.

Insbesondere nach dem Inkrafttreten der europarechtlichen Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) müssen bei der Einrichtung und Auswertung derartiger Maßnahmen die datenschutzrechtlichen Belange betroffener Personen sorgfältig beachtet werden. Ein Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen kann nicht nur zu Bußgeld- oder Schadenersatzforderungen führen, sondern im Einzelfall auch mit sich bringen, dass die Videoaufzeichnungen in einem gerichtlichen Verfahren nicht als Beweismittel verwertet werden dürfen.

In einem aktuellen Verfahren hat das Bundesarbeitsgericht bei der Abwägung zwischen dem Recht auf Datenschutz und dem Interesse eines Unternehmens an der Sanktionierung von vorsätzlichen Pflichtverstößen von Arbeitnehmern eine arbeitgeberfreundliche Tendenz erkennen lassen. In dem entschiedenen Fall bestand beim beklagten Arbeitgeber eine sogenannte offene Videoüberwachung des Betriebsgeländes. Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt als Teamsprecher in der Gießerei beschäftigt. Die Beklagte warf ihm unter anderem vor, am 2. Juni 2018 eine sog. Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet zu haben, sie gleichwohl vergütet zu bekommen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Kläger zwar an diesem Tag zunächst das Werksgelände betreten. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab nach dem Vortrag der Beklagten aber, dass der Kläger dieses noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger unter anderem geltend gemacht, er habe am 2. Juni 2018 gearbeitet. Die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden.

Nachdem die Vorinstanzen dem Arbeitnehmer noch Recht gegeben hatten, hob das Bundesarbeitsgericht deren Entscheidungen auf und begründete dies damit, dass in einem Kündigungsschutzprozess grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung besteht, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Bemerkenswerterweise soll dies nach Auffassung des Bundesarbeitsgericht auch dann gelten, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall sei es auch grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten habe.

Offen ließ das Bundesarbeitsgericht, ob ausnahmsweise aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverstöße in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt.

Für Arbeitgeber heißt dies, dass jedenfalls Aufzeichnungen aus einer offenen, d.h. kenntlich gemachten, Videoüberwachung recht weitgehend verwertet werden können. Bei geheimen Videoaufzeichnungen oder einer Videoüberwachung in Bereichen, in denen die Persönlichkeitsrechte betroffener Personen besonderem Schutz unterliegen, bedarf es dagegen einer zusätzlichen Rechtfertigung.

BAG, Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22