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Außerordentliche Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung – Arbeitsverweigerung in Zeiten der Corona-Pandemie

Dienstag, 18.05.2021

Die Weisung des Arbeitsgebers gegenüber einem sich selbst als Risikopatienten bezeichneten Arbeitnehmer, die Einarbeitung von zwei neuen Mitarbeitern vor Ort unter Einhaltung der Hygieneregeln im Betrieb vorzunehmen, entspricht auch in Zeiten der Corona-Pandemie billigem Ermessen i.S.d. § 315 Abs.1 BGB. Weigert sich der Arbeitnehmer beharrlich, die Arbeit vor Ort im Betrieb zu erbringen, um die bevorstehende Urlaubsreise zur Familie in ein anderes Land nicht durch die Ansteckung mit dem Sars-CoV-2-Virus zu gefährden, kann der Arbeitgeber ihn berechtigterweise außerordentlich kündigen. Das entschied das Arbeitsgericht Kiel am 11.März 2021.

Zum Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Web-Entwickler angestellt. Er teilte der Beklagte im Zuge Corona-Pandemie im März 2020 mit, dass er Risikopatient sei. Er führte seine Tätigkeit ab diesem Zeitpunkt überwiegend im Home-Office aus. Am 6. November 2020 bot die Beklagte dem Kläger eine veränderte Position sowie die Neueinstellung von zwei Mitarbeitern für den bisher vom Kläger behandelten Bereich an. Kurz darauf beantragte der Kläger einen fünfwöchigen Erholungsurlaub, der ihm auch genehmigt wurde. Ferner wurde er angewiesen, die zwei für die bisherige Tätigkeit des Klägers neu eingestellten Mitarbeiter vor seinem Urlaubsbeginn vor Ort im Betrieb einzuarbeiten. Dies Tat der Kläger Anfang Dezember an jeweils zwei Tagen. Die Einarbeitung fand in einem 40 m² großen Besprechungsraum statt. Die Abstandsregelungen wurden eingehalten. Am zweiten Tag der Einarbeitung erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten, dass die Einarbeitung beendet sei und unterbrach diese eigenmächtig. Die beiden neuen Mitarbeiter erklärten gegenüber der Beklagten jedoch, dass die Einarbeitung noch nicht beendet war. Die Beklagte wies den Kläger daraufhin an, die Einarbeitung vor Ort bis zu seinem Urlaubsbeginn fortzusetzen. Dies verweigerte er und verließ gegen 13 Uhr das Betriebsgelände. Auch in den Folgenden Tagen erschien der Kläger auch nach weiterer Aufforderung nicht auf dem Betriebsgelände, um die Einarbeitung fortzusetzen. Er teilte der Beklagten mit, dass er nicht mehr in die Firma kommen müsse, da die Einarbeitung beendet sei. Außerdem wolle er Corona bedingt nicht persönlich in der Arbeit erscheinen, da eine Urlaubsreise in sein Heimatland unmittelbar bevorstehe und er nicht das Risiko eingehen wolle, sich in der Firma zu infizieren. Der Geschäftsführer fragt bei dem Kläger erneut an, ob dies seine endgültige Entscheidung sei, was dieser bejahte. Noch am gleichen Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich, hilfsweise ordentliche.

Der Kläger ist der Ansicht, die Kündigung sei unwirksam. Er habe berechtigterweise seine Arbeitsleistung lediglich aus dem Homeoffice angeboten. Der Kläger sei als Risikopatient nicht verpflichtet gewesen, seine Arbeitsleistung im Betrieb zu erbringen. Durch das Angebot, dass der Kläger seine Tätigkeit zukünftig im Homeoffice ausübe, sei die Beklagte nicht mehr berechtigt gewesen, den Kläger davon abweichend im Büro zu beschäftigen. Auch sei die Einarbeitungszeit beendet gewesen. Die erforderlichen Abstandsregelungen seien ebenfalls nicht beachtet worden.

Die Beklagte hält die Kündigung für wirksam. Sie bestreitet, dass der Kläger Risikopatient sei. In jedem Falle habe die Beklagte den Kläger berechtigterweise angewiesen, die beiden Mitarbeiter in Präsenz im Betrieb vor Ort einzuarbeiten. Die urlaubsbedingte lange Abwesenheit des Klägers habe eine entsprechende Einarbeitung erfordert. Diese sei an den beiden Tagen unter Einhaltung aller Arbeitsschutzregeln erfolgt. Der Kläger habe mehrfach die weitere Einarbeitung der beiden Mitarbeiter abgelehnt. Die Beklagte sei somit berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung zu kündigen.

Das Gericht gab der Beklagten Recht. Das Arbeitsverhältnis ist wirksam durch die außerordentlich Kündigung beendet worden, da ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs.1 BGB vorlag. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (st. Rspr. BAG vgl. zuletzt 27. Juni 2019 – BAG 2 AZR 28/19 -).

Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, ist „an sich“ geeignet, selbst eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Das gilt nicht nur für die Weigerung, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, sondern auch für die Verletzung von Nebenpflichten. Ein Arbeitnehmer weigert sich beharrlich, seinen vertraglichen Pflichten nachzukommen, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht erfüllen will. Welche Pflichten ihn treffen, bestimmt sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Pflicht in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als falsch erweist (BAG 28. Juni 2018 – BAG 2 AZR 436/17 -)

Beharrliche Arbeitsverweigerung

Eine beharrliche Arbeitsverweigerung in der Person des Arbeitnehmers setzt Nachhaltigkeit im Willen voraus; der Arbeitnehmer muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass er eine Weisung des Arbeitgebers nicht befolgt, vielmehr muss eine intensive Weigerung vorliegen. Der Kläger hat sich beharrlich geweigert, seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, die Tätigkeit im Betrieb der Beklagten vor Ort zu erbringen, zu erfüllen. Die Weigerung des Klägers ist hier beharrlich, weil sie trotz zwischenzeitlicher Überlegungszeit mehrfach erfolgt ist und vom Kläger als letztes Wort verstanden wird. Hinzu kommt, dass die Arbeitsverweigerung des Klägers eine ausgesprochen schwerwiegende Arbeitsvertragsverletzung darstellt. Sie erfolgte aus rein eigensüchtigen Gründen, um seinen Urlaub nicht zu gefährden. Einerseits gewährt die Beklagte dem Kläger Urlaub für einen ausgesprochen langen Zeitraum von fünf Wochen. Andererseits interessiert sich der Kläger im Gegenzug nicht dafür, dass er in dieser langen Zeit auch angemessen vertreten werden kann. Der Kläger begründet seine Arbeitsverweigerung auch nicht einmal mit seinem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf, sondern mit der Gefährdung seiner Urlaubsreise.

Berechtigte Weisung der Arbeitgeberin, Mitarbeiter vor Ort einzuweisen

Die Beklagte war auch berechtigt, den Kläger anzuweisen, seine Tätigkeit vor Ort zu erbringen. Die Weisung der Beklagte ist sowohl durch den Arbeitsvertrag als auch durch das arbeitsvertragliche Weisungsrecht gem. § 106 S.1 GewO gedeckt. Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich keine Festlegung auf eine Tätigkeit im Home-Office. Eine Verpflichtung, den Kläger ausschließlich im Home-Office zu beschäftigen folgt auch nicht aus § 618 BGB. § 618 BGB begründet die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Örtlichkeit der Arbeitsleistung so zu gestalten, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, wie die Natur der Dienstleistung dies gestattet. Dieser Grundsatz wird ausgestaltet durch § 4 ArbSchG, wonach die Arbeit so zu gestalten ist, dass eine Gefährdung für das Leben sowie für die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst geringgehalten wird.

Dies wird näher konkretisiert durch den Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 16. April 2020 sowie durch die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel vom 20. August 2020. Die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 27. Januar 2021 galt im Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung noch nicht. Gemäß II. 6. des Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 16. April 2020 sind Büroarbeiten lediglich nach Möglichkeit im Homeoffice auszuführen und zwar insbesondere dann, wenn die Büroräume von mehreren Personen mit zu geringen Schutzabständen genutzt werden müssten.

Nicht jede Vorerkrankung rechtfertigt eine ausschließliche Beschäftigung im Home-Office

Das Maß des Klägers für einen besonders schweren Verlauf einer Corona-Erkrankung schließt die Beschäftigung vor Ort nicht generell aus. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer nicht allein mit mehr oder weniger hoher Gefährdung Risikopatient wäre, sondern wenn der Arbeitnehmer aufgrund Vorerkrankung ein attestiertes derartig hohes Risiko für einen schweren Corona-Erkrankungs-Verlauf hätte, dass jegliche Beschäftigung im Büro mit anderen Mitarbeitern unverantwortlich wäre. Allein die Behauptung des Klägers, er sei aufgrund einer wie auch immer gearteten Asthmaerkrankung Risikopatient und der Umstand, dass der Geschäftsführer der Beklagten dies im März 2020 unbesehen übernommen hat, führt nicht zu einer wie zuvor skizzierten Ausnahmesituation. Auch ist es wenig glaubhaft, von einem besonderen Erkrankungsrisiko auszugehen und dann das Risiko einer Reise ins Heimatland einzugehen.

Die Weisung der Beklagten an den Kläger, vor Ort zu arbeiten, entspricht auch unter Berücksichtigung aller Interessen billigem Ermessen im Sinne von § 315 BGB. Zu Gunsten des Klägers ist dessen Gesundheitsstatus zu berücksichtigen mit einem zumindest leicht erhöhten Infektionsrisiko und das generell erhöhte Risiko, sich statt zuhause zu bleiben im Betrieb mit dem Sars-CoV-2-Virus zu infizieren.

Zu Gunsten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit vor Ort nur auf einen begrenzten Zeitraum beschränkt sein sollte, nämlich auf den zweiwöchigen Zeitraum für die Einarbeitung von zwei Mitarbeitern. Darüber hinaus hat die Beklagte dem Kläger einen fünfwöchigen Urlaub genehmigt und erkennbar darauf hingewiesen, dass die beiden Mitarbeiter in Bezug auf die Tätigkeit vom Kläger gut eingearbeitet werden müssen. Angesichts der Arbeitsbedingungen vor Ort mit einem großen Raum, der ausreichende Abstand ermöglicht und dem Tragen von Mund-Nasenbedeckung ist die Einarbeitung verantwortbar.

In keinem Fall hat die Beklagte bei der Ermessensausübung das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser auch tatsächlich während seines Urlaubs in sein Heimatland reisen kann, indem er sich vorab quasi in häusliche Quarantäne begibt. Die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung ist keine Vorbereitung für einen geglückten Urlaub.

ArbG Kiel, Urt. v. 11.03.2021 – 6 Ca 1912 c/20