Arbeitsrechtliche Herausforderungen im Strukturwandel der Lausitz
Was Unternehmen, Arbeitnehmer:innen und Betriebsräte in Cottbus wissen müssen
Die Lausitz steht vor einem tiefgreifenden Wandel: Der Kohleausstieg und der damit verbundene Strukturwandel werden die Region wirtschaftlich und gesellschaftlich stark verändern. Besonders betroffen ist Cottbus, das sich als künftiges Zentrum für nachhaltige Energie und Innovation positionieren will. Doch was bedeutet das für Unternehmen und Arbeitnehmer:innen aus arbeitsrechtlicher Sicht?
Mit dem geplanten Kohleausstieg bis spätestens 2038 fallen zahlreiche Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie weg. Dabei sind nicht nur große Unternehmen wie die LEAG betroffen. Zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind als Zulieferer oder Dienstleister für die Braunkohleindustrie tätig. Viele sind gezwungen, Arbeitnehmer:innen zu entlassen. Für die betroffenen Arbeitnehmer:innen stellt sich zwangsläufig die Frage, ob und wie ihre Anstellung gesichert werden kann.
Arbeitsrechtlich sind insbesondere folgende Punkte relevant:
Betriebsbedingte Kündigungen:
Der Wegfall der Aufträge kann betriebsbedingte Kündigungen rechtfertigen. Dabei ist dies nicht so leicht zu begründen, wie die Folgen des Braunkohleausstiegs es vermuten lassen. Allein das Schlagwort „Braunkohleausstieg“ rechtfertigt eine Kündigung nicht. Es muss eine unternehmerische Entscheidung dargelegt werden, die zum Wegfall der Arbeitsplätze führt. Diese unternehmerische Entscheidung kann nur bedingt vom Arbeitsgericht Cottbus, das für die Kündigung zuständig sein wird, geprüft werden. Allerdings führen oft Fehler bei der sogenannten Sozialauswahl zur Unwirksamkeit der Kündigung. Denn es dürfen nur die Arbeitnehmer:innen entlassen werden, die sozial am stärksten sind bzw. von der Kündigung am wenigsten betroffen sind. Das sind die Mitarbeitenden, die am kürzesten beschäftigt sind, am jüngsten sind, keine Unterhaltspflichten haben und nicht schwerbehindert sind. Andere Kriterien sind nicht zu berücksichtigen. Außerdem kann nur dann gekündigt werden, wenn es keine Möglichkeit gibt, die betroffenen Arbeitnehmer:innen auf einem anderen, auch geringer wertigen, Arbeitsplatz zu beschäftigen. Wegen der hohen rechtlichen Hürden für Kündigungen enden Verfahren vor dem Arbeitsgericht Cottbus zumeist mit Vergleichen. Aus unserer Erfahrung sind Abfindungen von etwa einem halben Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr bei einer betriebsbedingten Kündigung üblich; es kann aber je nach Rechtslage und Verhandlungsgeschick auch deutlich mehr oder weniger sein.
Sozialpläne und Interessenausgleich:
In Unternehmen, in denen ein Betriebsrat besteht, wird unter Umständen ein Sozialplan und ein Interessenausgleich abzuschließen sein. In Cottbus und in der Lausitz sind die meisten Unternehmen nicht mitbestimmt. Dann entfällt die Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht. Betroffene Arbeitnehmer können dann nur individuell versuchen, Abfindungen auszuhandeln oder vor Gericht zu erstreiten. Wird in Krisenzeiten aber, was häufig vorkommt, kurzfristig noch ein Betriebsrat gegründet, kann das zu Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen führen.
Massenentlassungsanzeige:
Häufig übersehen wird vor Kündigungen die gesetzlich vorgeschriebene Massenentlassungsanzeige nach § 17 Kündigungsschutzgesetz. Denn schon bei einer Unternehmensgröße von mehr als 20 Mitarbeitenden ist bei fünf Entlassungen innerhalb von 30 Kalendertagen eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit zu stellen. Fehler bei dieser formal schwierigen Anzeige führen zur Unwirksamkeit der Kündigungen. Auch die Betriebsräte sind nach § 17 Kündigungsschutzgesetz zu beteiligen. Insofern lohnt es sich für Arbeitgebende bei der Planung zu prüfen, ob mehr als fünf Kündigungen ausgesprochen werden müssen oder der Zeitraum etwas länger sein kann. Ebenso lohnt es sich für gekündigte Arbeitnehmende, im Rechtsstreit eine möglicherweise unterlassene oder fehlerhafte Massenentlassungsanzeige anzuzweifeln.
Sonderregelungen für ältere Arbeitnehmer:innen:
Ältere Beschäftigte könnten von besonderen Übergangsregelungen profitieren, etwa von Vorruhestandsmodellen. Diese Modelle sind oftmals für Unternehmen recht kostspielig. In Cottbus und der Lausitz besteht die Besonderheit, dass überdurchschnittlich viele Mitarbeitende schon sehr lange, oftmals mehr als 30 Jahre, in einem Unternehmen beschäftigt sind, wodurch die Wahrscheinlichkeit von Vorruhestandsvereinbarungen steigt.
Chance für die Region
Der Braunkohleausstieg hat nicht nur negative Folgen, sondern ist auch eine Chance für die Region. Die Lausitz und gerade Cottbus sollen als Innovationsstandort neu aufblühen – unter anderem durch die Ansiedlung neuer Branchen wie erneuerbare Energien, Wasserstofftechnologie und IT. Es handelt sich insofern nicht um die Stilllegung einer ganzen Region, sondern um einen Strukturwandel, von dem die Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen in der Lausitz und Cottbus langfristig profitieren. Der Strukturwandel lässt nicht nur Arbeitsplätze entfallen, sondern schafft auch neue und vor allem zukunftssichere Beschäftigungsmöglichkeiten. Dieser Prozess wird durch Fördermittel unterstützt. Die Bundesregierung und das Land Brandenburg stellen erhebliche Mittel für den Strukturwandel bereit. Arbeitsrechtlich sind insbesondere folgende Förderprogramme interessant:
Transfergesellschaften:
Diese helfen Arbeitnehmer*innen, sich auf neue Tätigkeiten vorzubereiten, indem sie befristet weiterbeschäftigt und qualifiziert werden. Die Einrichtung von Transfergesellschaften ist allerdings nur für große Unternehmen relevant, die von einer Massenentlassungsanzeige betroffen sind.
Förderprogramme für Unternehmen:
Unternehmen können finanzielle Unterstützung für die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden oder die Schaffung neuer Arbeitsplätze erhalten.
Eingliederungshilfen:
Arbeitnehmer:innen, die sich beruflich neu orientieren, können durch Lohnkostenzuschüsse oder Umschulungsmaßnahmen unterstützt werden.
Das sind nur einige der möglichen Förderungen. Der Bund investiert ca. 10 Milliarden Euro in Brandenburg im Zuge des Strukturwandels. Die EU stellt ca. 800 Millionen Euro bereit, die direkt von kleinen oder mittelständischen Unternehmen abgerufen werden können. In Cottbus werden ebenfalls für verschiedene Projekte Beträge von mehreren hundert Millionen Euro investiert.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht hat der Strukturwandel zur Folge, dass auf der einen Seite eine riesige Zahl von Arbeitsplätzen durch Kündigungen entfallen, was zwangsläufig Fachanwältinnen für Arbeitsrecht wie uns, aber auch das Arbeitsgericht Cottbus, beschäftigt. Lange Verfahrensdauern und Kosten für Arbeitgeberinnen wie Arbeitnehmer:innen sind die Folge.
Für Gewerkschaften und Betriebsräte sind die Umstrukturierungen ebenfalls Chance und Herausforderung. Beim Personalabbau bestehen ebenso Mitbestimmungsrechte wie bei Umstrukturierungen, um sich auf neue Aufgaben vorzubereiten.
Eine frühzeitige und umfassende Einbeziehung des Betriebsrats des Betriebsrats bei allen strukturellen und personellen Maßnahmen im Rahmen der gesetzlichen Beteiligung ist unbedingt empfehlenswert, um die notwendigen Änderungen für alle Seiten fair und sauber durchführen zu können und spätere Rechtsstreits zu vermeiden.
Betriebsräte müssen sich gezielt auf die anstehenden Umstrukturierungen vorbereiten, um ihre Beteiligungsrechte ausüben und die Interessen sowohl der Beschäftigten als auch des Betriebs sinnvoll vertreten zu können, z.B. durch geeignete Schulungen.
Für die neu angesiedelten Unternehmen und Start-ups müssen oft arbeitsrechtliche Strukturen geschaffen werden – angefangen bei Arbeitsverträgen, bis hin zu verschiedenen spezielleren Themen wie Regelungen zu Homeoffice und mobiler Beschäftigung, aber auch Compliance-Richtlinien, Codes of Ethics und Hinweisgeberschutzsysteme. Alles Aufgaben für Spezialist*innen im Arbeitsrecht. Am Ende heißt es: Herausforderung bei der Bewältigung des Braunkohleausstiegs und Chance durch den Strukturwandel!