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Fristlose Kündigung wegen der Durchsuchung des Dienstcomputers eines Kollegen

Dienstag, 08.06.2021

Eine fristlose Kündigung erfordert immer einen wichtigen Kündigungsgrund. Dazu zählt nicht nur rechtswidriges Verhalten eines Mitarbeiters gegenüber dem Arbeitgeber, sondern auch rechtswidrige Handlungen gegenüber Arbeitskollegen wie beispielsweise grobe Beleidigungen oder Tätlichkeiten – jedenfalls dann, wenn ein Betriebsbezug gegeben ist.

Verarbeitet eine Mitarbeiterin rechtswidrig personenbezogene Daten eines Kollegen und wird dadurch sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt, kann darin ein wichtiger Grund liegen, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Insoweit handelt es sich nämlich zugleich um einen schweren Verstoß gegen arbeitsvertragliche Schutz- und Rücksichtnahmepflichten.

Unberechtigte Datenverarbeitung als „wichtiger Kündigungsgrund“

Das Arbeitsgericht Aachen entschied kürzlich über einen solchen Fall: Eine Mitarbeiterin eines Kirchenkreises hatte Zugriff auf den Dienstcomputer des dort tätigen Pastors, soweit dies zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Aufgaben etwa im Bereich der Buchhaltung notwendig war. Als sie auf dem Dienstcomputer nach einer Rechnung suchte, stieß sie im November 2019 zufällig auf eine E-Mail des Superintendenten, in der er dem Pastor mitteilte, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Anlass der Ermittlungen war ein mögliches strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Pastors in seinem Umgang mit einer Frau, die sich zu diesem Zeitpunkt im Kirchenasyl der Beklagten befand. Daraufhin begann die Mitarbeiterin den Dienstcomputer nach Korrespondenz zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau zu durchsuchen. Sie fand in einer nicht gesicherten Datei einen umfassenden privaten Chatverlauf. Diesen speicherte sie auf einem USB-Stick und übergab ihn an die Staatsanwaltschaft, um die Beweise zu sichern.

Die betroffene Frau im Kirchenasyl litt an erheblichen psychischen Problemen und hatte bereits einen Suizidversuch unternommen. Die Mitarbeiterin stand in einem engen Austausch mit ihr und war in Sorge, dass sie aufgrund der Belästigung durch den Pastor einen weiteren Suizidversuch unternehmen könnte.

Als die Beklagte von der Speicherung und der Weitergabe der Daten durch die Klägerin erfuhr, kündigte sie das Arbeitsverhältnis fristlos.

Das Arbeitsgericht ging in seiner Entscheidung zwar von einem schweren Verstoß der Klägerin gegen ihre arbeitsvertraglichen Schutz- und Rücksichtnahmepflichten aus. Die Datenverarbeitung war in dem Fall rechtswidrig. Die Klägerin hat unbefugt auf die persönlichen Daten des Pastors zugegriffen und damit dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt. Dies belastet zudem das Betriebsklima und das Vertrauensverhältnis zur Arbeitgeberin.

Die außerordentliche Kündigung ist trotzdem nur als „letztes Mittel“ gerechtfertigt

Dennoch hatte die Kündigungsschutzklage der Klägerin Erfolg. Die fristlose Kündigung ist hier nach Auffassung des Gerichts keine angemessene Reaktion auf das Fehlverhalten der Klägerin. Neben einem wichtigen Kündigungsgrund erfordert eine fristlose Kündigung zusätzlich eine genaue Prüfung des Einzelfalls, und eine Abwägung der Interessen beider Parteien. Die außerordentliche Kündigung ist das „letzte Mittel“ – dem Arbeitgeber muss es unzumutbar sein, das Ende der Kündigungsfrist abzuwarten. Außerdem spielen soziale Faktoren, sowie das Verhalten und die Absichten des Mitarbeiters im Einzelfall eine Rolle.

In dem vom Arbeitsgericht Aachen entschiedenen Fall hat das Gericht berücksichtigt, dass die Mitarbeiterin seit langen Jahren ohne Beanstandung bei dem Kirchenkreis tätig war, und dass sie – grundsätzlich – aus „guter Absicht“ handelte: Sie war überzeugt, dass die betroffene Frau bedrängt wurde und suizidgefährdet war, und wollte bei der Aufklärung einer Straftat helfen.  Die Schwere des Verstoßes wird dadurch relativiert, dass sie mit ihren Handlungen ein legitimes Ziel verfolgte und hierfür lediglich den falschen Weg wählte.

Der schwere Verstoß hätte hier wohl eine Abmahnung gerechtfertigt, nicht aber eine fristlose Kündigung. Auch eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung kam nicht in Betracht, da insoweit eine Abmahnung als milderes Mittel vorrangig gewesen wäre.

ArbG Aachen, Urt. v. 22.04.2021 – 8 Ca 3432/20