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Keine Beschäftigungsgarantie für schwerbehinderte Arbeitnehmer bei Umstrukturierungen des Arbeitgebers

Montag, 27.05.2019

Im bestehenden Arbeitsverhältnis können schwerbehinderte Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber verlangen, dass ihnen ein ihrer gesundheitlichen Situation entsprechender Arbeitsplatz zugewiesen wird. Dies gibt ihnen jedoch keine Beschäftigungsgarantie für den Fall, dass eine Umstrukturierung des Arbeitgebers zum vollständigen Wegfall des Arbeitsplatzes führt.

Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 16. Mai 2019 entschieden.

Besonderer Beschäftigungsanspruch für schwerbehinderte Menschen

BeschäftigungsgarantieDie Integration schwerbehinderter Menschen in das Arbeitsleben ist meist mit besonderen Herausforderungen verbunden. Zu diesem Zweck sieht das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) einige Schutzregelungen zugunsten dieser Personengruppe vor.

Dies umfasst auch einen besonderen Beschäftigungsanspruch: Nach § 164 Abs. 4 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Anspruch auf eine Beschäftigung entsprechend ihrer konkreten Fähigkeiten und Kenntnisse. Ebenso können Sie verlangen, dass ihr Arbeitsplatz behinderungsgerecht eingerichtet und unterhalten wird. Dies kann sich z.B. auf die Lage und Dauer der Arbeitszeit auswirken oder den Arbeitgeber zu besonderen Lärmschutzmaßnahmen verpflichten.

Die Grenze dieses Anspruchs ist erst dann erreicht, wenn die Erfüllung dieser Verpflichtungen für den Arbeitgeber nicht zumutbar ist bzw. mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre.

Schwerbehinderter klagt gegen betriebsbedingte Kündigung

Der schwerbehinderte Kläger war langjährig bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens kam es bei dieser zu umfangreichen Umstrukturierungen. Hiervon war auch der Arbeitsplatz des Klägers betroffen, weswegen die Arbeitgeberin dem Kläger nach Verhandlungen mit dem Betriebsrat aus betriebsbedingten Gründen kündigte. Die vom Kläger wahrgenommen Aufgaben sollten zukünftig auf die verbleibenden Arbeitnehmer umverteilt werden.

Obwohl der Kläger körperlich bedingt keine anderen Aufgaben übernehmen konnte, hielt er die Kündigung für unwirksam. Hierbei berief er sich auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz sowie auf seinen sozialrechtlichen Beschäftigungsanspruch, welcher der Umverteilung seiner Tätigkeiten auf andere Arbeitnehmer entgegenstehe.

Das Arbeitsgericht Hagen sowie das Landesarbeitsgericht Hamm hielten die Kündigung für wirksam.

BAG: Unternehmerische Organisationsfreiheit rechtfertigt die Kündigung

Das BAG bestätigte die Auffassung der Vorinstanzen und wies die Kündigungsschutzklage ab.

Auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz könne sich der klagende Arbeitnehmer bereits deshalb nicht berufen, weil die Kündigung vom Insolvenzverwalter ausgesprochen worden sei. In diesem Fall gelten die Sonderreglungen der Insolvenzordnung, welche auch den Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen ausschließen.

Auch der besondere sozialrechtliche Beschäftigungsanspruch des Klägers mache die Kündigung nicht unwirksam. Zwar könne der Arbeitnehmer verlangen, dass das Arbeitsverhältnis entsprechend seiner gesundheitlichen Situation durchgeführt werde, doch führe dies nicht zu einer entsprechenden Beschäftigungsgarantie.

Bestehe nach der Organisationsentscheidung des Arbeitgebers keine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung, rechtfertige dies eine betriebsbedingte Kündigung. Nur wenn ein anderer, freier Arbeitsplatz vorhanden sei, müsse der Arbeitgeber den Beschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers berücksichtigen. Eine Pflicht zur Schaffung oder Erhaltung eines tatsächlich nicht mehr benötigten Arbeitsplatzes treffe die Arbeitgeberin nicht.

Fazit

Das BAG schafft hiermit einen Ausgleich zwischen dem Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen und der unternehmerischen Organisationsfreiheit: Der Arbeitgeber ist verpflichtet zu prüfen, ob ein bestimmter Arbeitsplatz durch Schaffung behindertengerechter Umstände mit dem schwerbehinderten Arbeitnehmer besetzt werden kann. Ist dies nicht der Fall, ist der Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt; er muss seine Betriebsorganisation nicht verändern.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Mai 2019, Az.: 6 AZR 329/18