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Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers bei diskriminierenden Kündigungen

Freitag, 05.11.2021

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – kurz AGG – soll Menschen auch und insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts vor Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität schützen. Im Falle einer Diskriminierung stehen Betroffenen unter anderem Entschädigungsansprüche gemäß § 15 AGG zu.

Schadensersatzansprüche gemäß § 15 AGG auch bei rechtswidrigen Kündigungen zu beachten

Allgemein bekannt ist, dass im Rahmen von Stellenausschreibungen keine diskriminierenden Anforderungen zugrunde gelegt werden dürfen. So darf in der Regel nicht nur nach einem „jungen“ Bewerber oder einem/r ausschließlich „männlichen“ oder „weiblichen“ Bewerber:in gesucht werden. Wie das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in einem aktuellen Urteil entscheiden hat, ist das AGG aber auch bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen zu berücksichtigen.

 

Sonderkündigungsschutz von schwerbehinderten Arbeitnehmern

In dem vom LAG Baden-Württemberg entschiedenen Fall hatte ein Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gekündigt, ohne zuvor die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Hierzu muss man wissen, dass gemäß § 168 Sozialgesetzbuch (SGB) IX die Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters nur nach vorheriger Zustimmung des zuständigen Integrationsamtes zulässig ist. Der betroffene Arbeitnehmer erhob Klage gegen die Kündigung und beantragte in dem Klageverfahren zugleich, den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu verurteilen. Gemäß § 15 Abs. 2 AGG können Betroffene neben dem bereits durch § 15 Abs. 1 AGG geregelten Vermögensschaden auch Nichtvermögensschäden – sogenannten immateriellen Schadensersatz – geltend machen.

 

Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 17. Mai 2021 – 10 Sa 49/20

Das Landesarbeitsarbeitsgericht gab, wie auch zuvor schon das erstinstanzlich zuständige Arbeitsgericht Villingen, dem klagenden Arbeitnehmer Recht. Es ging dabei davon aus, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne vorherige Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes bereits eine Vermutung dafür begründe, dass dieser wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden ist. Diese Vermutung konnte der Arbeitgeber im Prozess nicht entkräften. Der Kläger musste dabei nicht einmal beweisen, dass die Beklagte ihn benachteiligen wollte. Auf ein schuldhaftes Verhalten oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es für den Schadensersatzanspruch nach § 15 AGG nicht an.

 

Höhe des Entschädigungsanspruches ist nicht begrenzt

Das Gericht wies in seiner Entscheidung auch darauf hin, dass der Schadensersatzanspruch des Betroffenen nicht durch § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG der Höhe nach begrenzt ist. Die in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG geregelte Begrenzung des Entschädigungsanspruches auf drei Bruttomonatsgehälter gelte nur für Fälle einer nicht vorgenommenen Einstellung. Auf den streitgegenständlichen Kündigungsfall sei diese Regelung nicht anwendbar. Je nach Schwere des Verstoßes des Arbeitgebers kann dieser daher auch zur Zahlung von Schadensersatz von deutlich mehr als drei Monatsgehältern verpflichtet sein. Laut den Richtern des Landesarbeitsgerichts solle die Bemessung der Entschädigung auch sicherstellen, dass sie einen abschreckenden Charakter ausübt und dazu beiträgt, dass der Arbeitgeber den Sonderkündigungsschutz zukünftig wahrt. Im konkreten Fall verurteilte das Gericht den Arbeitgeber daher schließlich zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von etwa vier Monatsgehältern.

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.05.2021 – 10 Sa 49/20