Europäisches Arbeitsrecht
Der BREXIT – ein Anlass über Europäisches Arbeitsrecht nachzudenken
Das deutsche Arbeitsrecht gilt für ca. 31 Mio. Arbeitnehmer und natürlich einheitlich in allen Bundesländern. Diese einheitliche Anwendung unserer arbeitsrechtlichen Regelungen wird nicht in Frage gestellt. Sie hat sich bewährt und ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber selbstverständlich.
Warum ist das in Europa anders?
Das europäische Arbeitsrecht wirkt sich bis zum Vollzug des Brexit auf ca. 240 Mio. Beschäftigte aus. Es schafft für Arbeitgeber einen klaren Rahmen von Mindestarbeitsbedingungen, die sie bei ihrer unternehmerischen Tätigkeit berücksichtigen müssen. Für Arbeitnehmer gewährt es, unabhängig in welchem Land sie arbeiten, einen Mindestschutz. Damit leistet das EU-Arbeitsrecht einen unverzichtbaren Beitrag zum freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften innerhalb der EU. Diese Rahmenbedingungen machen nicht nur den Binnenmarkt möglich, indem sie grenzüberschreitende unternehmerische Tätigkeiten erleichtern, sondern dienen vor allem einem fairen Wettbewerb. Preisvorteile von ausländischen Unternehmen durch niedrigere arbeitsrechtliche Standards und Löhne sind in der EU weitgehend ausgeschlossen. Eigentlich alles genauso wie in Deutschland nur für einen größeren Wirtschaftsraum und trotzdem – siehe Brexit – hochumstritten.
Dabei wird meist unterschlagen, dass europäisches Arbeitsrecht nur Mindeststandards setzt, die einheitlich von allen Mitgliedsstaaten einzuhalten sind. Die heute in Deutschland geltenden arbeitsrechtlichen Regelungen müssen die Bestimmungen des Europäischen Arbeitsrechts erfüllen, setzen aber meist viel höhere Standards als die Europäische Union.
Als gute Beispiele hierfür dienen uns
- das Arbeitszeitgesetz,
- das Teilzeit- und Befristungsgesetz,
- das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz,
- das Entsendegesetz und
- § 613a BGB.
Arbeitszeit
Die Arbeitszeitrichtlinie schreibt den EU-Ländern vor, die wöchentliche Arbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden, alle Überstunden eingeschlossen, zu begrenzen. Zudem werden Ruhezeiten, Nachtarbeit etc. vorgeschrieben. In Deutschland ist dies seit 1994 im Arbeitszeitgesetz geregelt, wobei in der Regel eine Wochenarbeitszeit von maximal 40 Stunden gilt.
Daneben bestimmt die Arbeitszeitrichtlinie einen Mindesturlaub von 4 Wochen pro Jahr. Bei uns ist dies seit 1963 im Bundesurlaubsgesetz geregelt. In der deutschen Praxis wird in der Regel ein höherer Mindesturlaub gewährt.
Befristetung und Teilzeit
Die Befristung von Arbeitsverhältnissen beruht ebenso auf einer EU-Richtlinie (1999/70/EG). Die Richtlinie zu befristeten Arbeitsverträgen verbietet es Arbeitgebern, befristete Angestellte schlechter zu behandeln als vergleichbare Dauerbeschäftigte. Sie schreibt vor, dass die einzelnen Länder Befristungen nur aus sachlichen Gründen erlauben dürfen, eine maximale Dauer der Befristung festgelegt wird und die Anzahl der Befristungen begrenzt sein muss. Die Ausgestaltung im Detail liegt im Ermessen der Länder. Deutschland hat aus dieser Vorgabe eine recht umstrittene Regelung gemacht, die insbesondere eine Befristung nach einer Vorbeschäftigung verbietet. Das BAG hat sich vor einiger Zeit entschieden, entgegen dem Wortlaut des Gesetzes dieses Verbot etwas aufzuweichen. Die Richtlinie hat eine solche Regelung übrigens nicht vorgesehen.
Teilzeitarbeit ist ebenfalls durch eine europäische Richtlinie geregelt (97/81/EG). Auch die EU hat erkannt, dass Formen der flexiblen Gestaltung von Arbeitsverhältnissen sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer Vorteile bringen. Die Richtlinie soll die ungerechtfertigte Diskriminierung von Teilzeitarbeitskräften beenden und ein weiteres Teilzeitarbeitsmöglichkeiten auf freiwilliger Grundlage erleichtern. In Deutschland ist dies im Detail im Teilzeit- und Befristungsgesetz geregelt.
Leiharbeit
Die Arbeitnehmerüberlassung war in den letzten Monaten in Deutschland ein großes arbeitsrechtliches Thema, nachdem die große Koalition sich 2016 auf ein Gesetz zur Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen geeinigt hat. Die Diskussionen hierum basieren allerdings nicht auf den Mindestregelungen für die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern in der Europäischen Union, die die Richtlinie über Leiharbeit festlegt.
Die EU-Richtlinie legt das Prinzip der Nichtdiskriminierung zwischen Leiharbeitern und Arbeitnehmern, die von dem die Leiharbeit in Anspruch nehmenden Unternehmen eingestellt wurden, fest. Die Arbeitnehmerüberlassung ist in Deutschland bereits seit 1972 geregelt und in der Folge gemäß der EU-Richtlinie angepasst worden. Allerdings übersteigt der in Deutschland geltende Schutz der Leiharbeitnehmer den durch die EU Richtlinie festgelegten Mindeststandard.
Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb der EU
Der Einsatz von Arbeitnehmern für einen begrenzten Zeitraum in einem EU-Land sind in der 1996 verabschiedeten Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern festgelegt. Unter diesen Rahmenbedingungen kann beispielsweise ein Dienstleister einen Auftrag in einem anderen Land erhalten und seine Arbeitnehmer dorthin schicken, um den Auftrag auszuführen. Hierdurch wird gewährleistet, dass diese Rechte und Arbeitsbedingungen in der gesamten EU geschützt sind und „Sozialdumping“, d. h. das Unterbieten von Preisen auf lokalen Märkten durch ausländische Dienstleister, deren Arbeitsstandards niedriger sind, wird vermieden.
Für Arbeitnehmer, die in einem anderen EU-Land fest beschäftigt werden, gelten natürlich die gleichen Arbeitsbedingungen wie für die einheimischen Beschäftigten.
Zu den einschlägigen Rechten gehören:
- Mindestentgeltsätze
- Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten
- bezahlter Mindestjahresurlaub
- Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften durch Leiharbeitsunternehmen
- Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz
- Gleichbehandlung von Männern und Frauen
Die EU-Rechtsvorschriften geben also einen klaren Rahmen vor, der fairen Wettbewerb und die Wahrung der Rechte von entsandten Arbeitnehmern gewährleistet und bewirkt, dass die Unternehmen wie auch die Arbeitnehmer die Möglichkeiten des Binnenmarktes uneingeschränkt nutzen können.
In Deutschland gilt für die Entsendung von Arbeitnehmern das Arbeitnehmerentsendegesetz, das noch durch das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie 2014 erweitert wurde. Auch hier gehen unsere Regelungen über die Festlegungen der EU hinaus.
Betriebsübergang (§ 613a BGB)
Auch § 613a BGB beruht auf einer EU-Richtlinie und ist heute aus dem deutschen Arbeitsrecht nicht mehr wegzudenken. Die Richtlinie, durch die das Thema geregelt wird (2001/23/EG) betont, dass der Übergang eines Unternehmens als solcher keinen Grund zur Kündigung darstellt. Sämtliche Rechte und Verpflichtungen, die sich aus dem Arbeitsvertrag bzw. dem Beschäftigungsverhältnis ergeben, gehen vom alten auf den neuen Arbeitgeber über.
Die einzelnen Mitgliedsstaaten haben jedoch die Freiheit, Details hierzu eigenständig zu regeln. So konkretisieren die deutschen Regelungen zum Betriebsübergang die EU-Richtlinie.
Die oben aufgeführten Beispiele sind nur einige wenige aus der Vielzahl von europäischen Regelungen im Arbeitsrecht, die entweder nationales Recht konkretisieren oder ergänzen. So haben alle Arbeitnehmer in der EU bestimmte Mindestrechte in Bezug auf
- Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz. Dies hat im deutschen Recht z.B. im Arbeitsschutzgesetz seine Umsetzung gefunden
- Chancengleichheit für Frauen und Männer: Gleichbehandlung am Arbeitsplatz, Mutterschutzgesetz, Elternzeitgesetz
- Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Alter, Behinderung oder sexueller Orientierung, in Deutschland umsetzt als AGG
- Datenschutz am Arbeitsplatz
Wesentliche andere Regelungen wie z.B. der Kündigungsschutz, das Betriebsverfassungsgesetz, die arbeitsrechtlichen Bestimmungen im BGB oder der Gewerbeordnung sind auf der anderen Seite rein nationale Gesetze. Diese sind zwar auf sämtliche Beschäftigte, die in Deutschland arbeiten, anwendbar, basieren aber nicht auf EU-Rechtssetzung.
Als Fazit ist zu ziehen, dass die Kritik an der Überregulierung des Arbeitsrechtes sich eher an die nationale Regierung richten sollte, die notwendige Vorgaben der europäischen Kommission im Detail umsetzt. Der Gedanke, einheitliche Regelungen für einen großen Beschäftigungsmarkt zu schaffen, ist – siehe die deutsche Praxis für die Bundesländer – unbestreitbar positiv. Der Brexit führt für die britischen Unternehmen und Arbeitnehmer auch zu keiner Erleichterung. Die bisher bestehenden Regelungen bleiben aufgrund ihrer nationalen Umsetzung in Kraft. Zukünftige EU-Regelungen muss Großbritannien zwar nicht mehr aufgrund der Mitgliedschaft in der EU umsetzen. Sollten Briten innerhalb der Europäischen Union Dienstleistungen anbieten oder als Arbeitnehmer arbeiten wollen, müssen sie auch weiterhin die europäischen Mindeststandards einhalten bzw. diese finden automatisch Anwendung.