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Achtung: Arbeitszeiterfassung für alle!

Freitag, 16.09.2022

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem überraschenden Beschluss vom 13. September 2022 festgestellt, dass Arbeitgeber:innen bereits jetzt verpflichtet sind, die Arbeitszeit von allen Mitarbeitenden zu erfassen. Die Pflicht gilt für alle Unternehmen, unabhängig von der Größe, sowie für alle Mitarbeitenden.

Europäisches Arbeitszeitrecht

Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ist bereits seit einer Entscheidung des höchsten europäischen Gerichts im Mai 2019 ein brandaktuelles Thema. Damals hatte der EuGH entschieden, dass die EU-Mitgliedstaaten Arbeitgeber:innen verpflichten müssen, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzurichten. Nur so könne sichergestellt werden, dass die in Europa einheitlich geltenden Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten eingehalten werden. Bisher war in Deutschland nur die Erfassung von Überstunden und Sonntagsarbeit vorgegeben.

Keine Umsetzung in Deutschland bisher

Der deutsche Gesetzgeber war seit Mai 2019 bisher nicht aktiv geworden, um diese klaren europäischen Vorgaben umzusetzen. Auch der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP sah lediglich vor, dass geprüft wird, welche Anpassungen notwendig sind. Die Vorgaben sollten umgesetzt und gleichzeitig flexible Arbeitszeitmodelle wie Vertrauensarbeitszeit möglich bleiben.

BAG schafft neue Rechtslage ab sofort

Das Bundesarbeitsgericht hat durch seinen Beschluss jetzt Fakten geschaffen, bevor es einen Gesetzesentwurf zu diesem Thema gab. Entgegen früherer Rechtsprechung sieht das BAG die Arbeitgeber:innen bereits jetzt in der Pflicht „ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann“. Vor dem Hintergrund der europäischen Vorgaben gehört die Arbeitszeiterfassung nach Ansicht des Gerichts zu den Grundpflichten des Arbeitsschutzes nach § 3 Arbeitsschutzgesetz.

Kein Mitbestimmungsrecht für Betriebsräte

Auch für die Mitbestimmung im Betrieb ist die Entscheidung wichtig. Das BAG hat entschieden, dass dem Betriebsrat kein Initiativrecht für Regelungen zur Arbeitszeiterfassung zusteht. Das entsprach der bisherigen Rechtsprechung des obersten Arbeitsgerichts. Überraschend besteht aus der Sicht des BAG hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung aber überhaupt kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG.

Rechtssicherheit noch nicht in Sicht

Die lange erwartete Urteilsbegründung hat das Bundesarbeitsgericht am 3. Dezember 2022 veröffentlicht. Daraus lassen sich allerdings auch weiterhin nur wenige konkrete Vorgaben ablesen. Es besteht weiterhin ein großer Gestaltungsspielraum. Die Arbeitszeiterfassung kann schriftlich oder digital erfolgen. Eine Vertrauensarbeitszeit ist weiterhin möglich. Das BMAS hat noch keine konkreteren Hinweise erteilt aber einen praxistauglichen Vorschlag für Q1 023 angekündigt.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. September 2022, Aktenzeichen 1 ABR 22/21

FAQ auf den Seiten des BMAS