Trennlinie

Kirche und Arbeitsrecht – BVerfG stärkt kirchliches Selbstbestimmungsrecht

Montag, 10.11.2025

Der Fall Vera Egenberger

Ein Fall, der die Gerichte seit nunmehr über zehn Jahren beschäftigt, findet nun seinen Abschluss mit dem lang ersehnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Vor ca. 13 Jahren bewarb sich Vera Egenberger bei einer Diakonie. Die ausgeschriebene Position der Diakonie verlangte damals eine Kirchenmitgliedschaft, die Vera Egenberger nicht vorweisen konnte. Sie erhielt daher noch nicht mal eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Vera Egenberger klagte daraufhin vor dem Arbeitsgericht Berlin. Der Rechtsstreit zog sich über Jahre und ging durch alle Instanzen, sogar bis zum EuGH.

Zuletzt hat sich nun auch das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall Vera Egenberger auseinandergesetzt. Dort erging nun nach rund sechs Jahren Rechtshängigkeit das mit Spannung erwartete Urteil. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts entschieden in dem Urteil zugunsten der Diakonie und wiesen den Rechtsstreit zurück an das Bundesarbeitsgericht. Damit steht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nun den Urteilen des Arbeitsgerichts Berlin, des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs entgegen. Diese haben nach Auffassung der Richter des Bundesverfassungsgerichts in ihren Entscheidungen das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz i.Vm. Art. 140 Grundgesetz und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung nicht genügend beachtet.

 

Was bedeutet dieses Urteil für kirchliche Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

Kirchliche Arbeitgeber müssen bei Stellenausschreibungen und -besetzungen genau prüfen und dokumentieren, warum eine bestimmte Anforderung, wie z.B. die Mitgliedschaft bei einer Kirche, für die ausgeschriebene Position erforderlich ist. Das pauschale Verlangen einer Kirchenmitgliedschaft für jede mögliche kirchliche Position ist unzulässig.

Arbeitnehmer sollten wissen, dass auch bei kirchlichen Einrichtungen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz greift. Allerdings in einer anderen Gewichtung, als in Arbeitsverhältnissen bei nicht kirchlichen Arbeitgebern.

 

Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen umfasse nach dem Urteil auch ihr Arbeitsrecht und Personal-Gestaltungsrecht. Im kirchlichen Arbeitsrecht kann dies also bedeuten, dass die Mitgliedschaft in einer Kirche oder die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft als Anforderung an eine zu besetzende Position gestellt werden darf.

Diese Anforderung ist allerdings nicht schrankenlos möglich. Das Selbstbestimmungsrecht unterliegt auch weiterhin den allgemeinen gesetzlichen Schranken und damit auch den Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Diese zwei Rechtsgüter – hier das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und der Schutz vor Benachteiligung – sind dabei in einen Ausgleich zu bringen.

Um diesen Ausgleich zu erzielen, erachtet das Bundesverfassungsgericht eine zweistufige Prüfung für notwendig.

Zunächst muss geprüft werden, ob es einen objektiven Zusammenhang zwischen der beruflichen Anforderung, wie hier der Kirchenmitgliedschaft, und der konkreten Tätigkeit gibt, sog. Plausibilitätsprüfung.

In dem Urteil heißt es dazu in Randnummer 225: „Je größer die Bedeutung der betroffenen Position für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft nach innen (etwa Nähe zum Verkündigungsauftrag, Vermittlung religiöser Inhalte, Seelsorge) und/oder außen (etwa Außendarstellung und glaubwürdige Repräsentation, Leitungsfunktion, Mission) ist, desto mehr Gewicht besitzt dieser Umstand und das daraus von der Kirche abgeleitete Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft. […] Je weniger Relevanz die Stelle jedoch für die Wahrung beziehungsweise die Verwirklichung des religiösen Ethos hat, desto eher wird dem Diskriminierungsschutz der Vorzug zu geben sein.“

In einem zweiten Schritt ist zu ermitteln, ob die Anforderung geeignet, erforderlich und angemessen ist. Es ist also eine offene Gesamtabwägung zwischen den Interessen und Belangen des Arbeitnehmers bzw. Bewerbers und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen vorzunehmen.