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Kein Zugangsnachweis durch Einwurf-Einschreiben mehr

Montag, 24.11.2025

Das Einwurf-Einschreiben ist eine gern genutzte Methode, um z.B. eine Zustellung nachweisen zu können. Der Zugang ist zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit von Erklärungen gegenüber einer anderen Person. Arbeitgeber:innen müssen z.B. den Zugang von Kündigungen beweisen. Das LAG Hamburg hat nun entscheiden: Das digitalisierte Einwurf-Einschreiben mag die Zustellung erleichtern, doch einen Anscheinsbeweis für die Zustellung erbringt es nicht mehr (LAG Hamburg, Urteil vom 14.7.2025 – 4 SLa 26/24).

Im Fall des LAG ging es um die Wirksamkeit der Kündigung eines langjährig häufig erkrankten Arbeitnehmers. Diesem wurde krankheitsbedingt gekündigt. Entscheidend war die Frage, ob das Verfahren zum betrieblichen Eingliederungsmanagement als milderes Mittel zur Kündigung ordnungsgemäß eingeleitet worden ist oder nicht. Nur mit ordnungsgemäß durchgeführtem bEM-Verfahren kommt eine krankheitsbedingte Kündigung überhaupt in Betracht. Das Einladungsschreiben wurde per digitalisiertem Einwurf-Einschreiben versendet. Der Arbeitnehmer hat behauptet, er habe diese Einladung nicht erhalten. Das LAG musste sich damit auseinandersetzen, ob für die Zustellung einer Einladung zum bEM mit dem digitalen Einwurf-Einschreiben ein Anscheinsbeweis begründet wird oder nicht.

Was bedeutet Anscheinsbeweis?

Grundsätzlich ist es so, dass im Gerichtsverfahren jeder die Umstände, auf die er sich beruft, beweisen muss. Für Arbeitgeber:innen bedeutet das: Wollen Sie sich auf einen Zugang, z.B. von bEM-Einladungen und Kündigungen berufen, müssen sie diesen beweisen.

Der sogenannte Anscheinsbeweis hilft, den Beweis zu erleichtern. Er greift bei typischen Geschehensabläufen. Das bedeutet, dass sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte, maßgebliche Ursache bzw. einen maßgeblichen Ablauf schließen lässt. Es gibt dann eine hinreichend große Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmter Ablauf passiert ist.

Früher hat das Einwurf-Einschreiben in der Regel den Beweis des ersten Anscheins gewahrt. Das Einwurf-Einschreiben wurde mit dem Peel-Off-Verfahren zugestellt. Kurz vor dem Einwurf in den Briefkasten ist ein „Peel-off-Label“ von der Sendung abgezogen und auf einen Auslieferungsbeleg geklebt worden. Die jeweiligen Postangestellten hat darauf dann mit der Unterschrift und Angabe des Datums die Zustellung bestätigt. Für den Anscheinsbeweis des Zugangs war bei diesem Verfahren erforderlich, den Einlieferungsbeleg sowie die Reproduktion des Auslieferungsbeleges vorzulegen. Die bloße Vorlage des Einlieferungsbelegs eines Einwurf-Einschreibens und die Darstellung seines Sendungsverlaufs haben nach der Rechtsprechung des BAG keinen Anscheinsbeweis für einen Zugang der eingelieferten Postsendung beim Empfänger begründet (BAG Urt. v. 30.1.2025 – 2 AZR 68/24).

Die Deutsche Post hat ihr Verfahren nun digitalisiert. Die Einlieferungsnummer wird mit einem Scanner eingelesen und im Scannersystem hinterlegt. Auf dem Scanner unterschreibt der/die Angestellte nun digital, wobei das Datum automatisch im System hinterlegt wird. Im System ist der Vorgang dann beendet und das unter Umständen bevor der Brief in den Hausbriefkasten geworfen wird. Von der Deutschen Post gibt es lediglich eine interne Vorgabe, dass Zustellende vor dem Einwurf überprüfen sollen, ob der Empfängername auf dem Briefkasten steht. Dies wird weder technisch erzwungen, noch in irgendeiner anderen Form dokumentiert.

Warum kein greift hier der Anscheinsbeweis nicht mehr?

Das LAG Hamburg sieht bei diesem Verfahren aus zwei Gründen den Anscheinsbeweis nicht mehr als gegeben:

Zum einen sei kein „typischer“ gesicherter Ablauf mehr gegeben. Es fehle an der nötigen Typizität. Mit diesem Ablauf können nach Ansicht des LAG die besonderen Umstände des Einzelfalls nicht mehr verdrängt werden. Die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Zustellung hänge nur von der Gewissenhaftigkeit des jeweiligen Zustellenden ab. Die Prüfung der Sendung hänge gerade nur von der internen Vorgabe der Deutschen Post ab. Das Verfahren an sich gibt das nicht mehr vor. Im Einzelfall können z.B. viele Briefkästen neben- oder übereinander hängen. Gerade in Mehrparteihäusern kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Zustellungsperson z.B. abgelenkt ist und den Brief in den falschen Briefkasten wirft. Im Gegensatz zum Peel-Off-Etikett sei das Scannen auch möglich, wenn noch andere Sendungen in der Hand gehalten werden, was die Gefahr eines Fehleinwurfs erhöhe.

Zum anderen sieht das LAG Hamburg ein Problem bei der lückenhaften Dokumentation durch neuen Zustellungsbeleg. Der Zustellbeleg bzw. die digitale Sendungsverfolgung mache nicht mehr deutlich, welcher Zustellungsvorgang genau dokumentiert werde. Weder sei die Adresse, noch die Uhrzeit in dem Beleg ersichtlich. Auch die gewählte Variante der Übergabe gehe aus dem Zustellungsbeleg nicht hervor. In der Empfangsbestätigung stünden zwei Varianten, nämlich die Übergabe an eine empfangsberechtigte Person und das Einlegen in eine Empfangsvorrichtung. Eine ausreichende Gewähr für die Zustellung werde somit nicht geboten. Hinzu komme, dass ohne diese Angaben ein vermeintlicher Empfänger praktisch keine Möglichkeit mehr habe, den Anscheinsbeweis zu erschüttern.

Die Entscheidung des LAG Hamburg hat bedeutende Auswirkungen, sowohl für Arbeitgeber:innen als auch Arbeitnehmer:innen.

Was bedeutet die Entscheidung für Arbeitnehmer:innen?

Arbeitnehmer:innen sollten sich bewusst machen, dass ein bestrittenes Schreiben, welches per modernem Einwurf-Einschreiben verschickt wurde, nicht ohne Weiteres als zugegangen gilt. Hierin kann eine gute Verteidigungsstrategie liegen, um sich gegen Abmahnungen oder Kündigungen zu wehren.

Was bedeutet die Entscheidung für Arbeitgeber:innen?

Arbeitgeber:innen sollten für einen sicheren Zugang somit entweder darauf zurückgreifen, wichtige Schreiben unter Zeug:innen selbst zu übergeben (am Arbeitsplatz oder am Wohnort der Arbeitnehmer:innen) oder auf die Möglichkeit der Zustellung per Bot:innen oder auch den Gerichtsvollzieher:innen zurückgreifen.

Die persönliche Zustellung unter Zeug:innen ist dabei die kostengünstigste Zustellungsmethode. Wichtig ist, darauf zu achten, dass nicht die Geschäftsführer:innen als Zeug:innen anwesend sind. Besser ist es, andere Arbeitnehmer:innen mitzunehmen um die Beweiskraft der Zeug:innenaussagen in einem Gerichtsprozess nicht zu schmälern.

Bei der Zustellung durch Bot:innen wird der Brief persönlich an die Empfänger:innen übergeben oder – falls niemand angetroffen wird – in den Briefkasten geworfen. Dieser Vorgang wird schriftlich (z.B. mittels Zustellungsprotokoll oder eidesstattlicher Erklärung des Boten) dokumentiert. Im Falle eines Rechtsstreites können Bot:innen als Zeug:innen den direkten Beweis für den Zugang liefern. Ein Rückgriff auf einen etwaigen Anscheinsbeweis ist dann nicht mehr erforderlich.

Auch kann sich die Zustellung durch Gerichtsvollzieher:innen anbieten. Diese Methode liefert einen öffentlichen Zustellungsnachweis und gilt daher als besonders sicher. Hierbei handelt es sich jedoch um eine kostenintensivere Zustellungsmöglichkeit.

Arbeitgeber:innen können sich in jedem Fall bei der Verwendung des digitalisierten Einwurf-Einschreibens nicht mehr auf das Einwurf-Einschreiben als Nachweismöglichkeit für den Zugang von wichtigen Schriftstücken verlassen. Für wichtige Schriftstücke wie z.B. Kündigungen, Abmahnungen oder Einladungen zum bEM muss auf alternative Zustellungsmethoden zurückgegriffen werden.

Auch die anderen Formen des Einschreibens bieten keine uneingeschränkte Möglichkeit des Zugangsnachweises. Beim Standard-Einschreiben erfolgt die Zustellung gegen Unterschrift oder elektronische Bestätigung durch die empfangsberechtigte Person. Das Problem beim Einschreiben ist, dass Empfänger:innen die Annahme verweigern können oder das Schreiben nicht abholen. Der Zugang erfolgt grundsätzlich durch die Bestätigung der Empfänger:innen auf dem Rückschein. Der Benachrichtigungsschein allein beweist den Zugang nicht. Der Zugang kann somit verzögert oder sogar ganz vereitelt werden.

 

Wenn Sie unsicher sein sollten bzgl. der Zustellung wichtiger Schriftstücke, sprechen Sie uns an. Wir beraten Sie gerne.