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Beschäftigungsanspruch: Arbeitnehmer können Arbeit verlangen

Montag, 20.04.2020

Grundsätzlich kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen, tatsächlich beschäftigt zu werden. Es besteht also nicht nur ein Recht auf Lohn, sondern auch auf Arbeit. Dieser Beschäftigungsanspruch entfällt nur, wenn der Arbeitgeber schutzwürdige Interessen vorweisen kann und eine Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Freistellung erlaubt.

Will der Arbeitgeber nur Verhandlungen über die Aufhebung des Arbeitsvertrags erzwingen, liegt darin kein schutzwürdiges Interesse. Deshalb ist die Freistellung einer ordentlich unkündbaren Oberärztin zu diesem Zweck rechtswidrig.

So hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein am 06. Februar 2020 entschieden.

Freistellung wegen interner Spannungen

BeschäftigungsanspruchDie Arbeitgeberin betreibt mehrere Kliniken. An einer dieser Kliniken ist die Arbeitnehmerin als leitende Oberärztin angestellt. Neben der Tätigkeit in der medizinischen Versorgung arbeitet sie auch im Bereich der Wissenschaft und Lehre für die Arbeitgeberin. Die Arbeitnehmerin ist ordentlich unkündbar. Als im Jahr 2018 ein neuer Chefarzt die Klinik übernahm, kam es zu Spannungen zwischen ihm und der Arbeitnehmerin.

Die Arbeitnehmerin war bis Ende November 2019 arbeitsunfähig erkrankt. Als sie danach zur Arbeit zurückkehren wollte, wurde sie von der Arbeitgeberin unter Fortzahlung des Gehalts freigestellt. Diese Freistellung erfolgte laut der Arbeitgeberin „insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses“. Die Arbeitnehmerin musste ihren Laptop und dazugehörige Datenträger sowie Mitarbeiterausweise und Zugangsberechtigungen bzw. Schlüssel aushändigen. Auch ihr Account im Kliniksystem wurde gelöscht.

Vor dem Arbeitsgericht erstritt die Arbeitnehmerin eine einstweilige Verfügung, wonach die Arbeitgeberin sie als leitende Oberärztin beschäftigen muss. Daraufhin setzte die Arbeitgeberin sie zwar als Oberärztin an einer anderen Klinik ein, aber nicht in einer geschäftsführenden Position.

Die Arbeitgeberin legte Berufung vor dem LAG Schleswig-Holstein ein, hatte damit aber keinen Erfolg.

Kein schutzwürdiges Interesse der Arbeitgeberin

Das Gericht gab der Arbeitnehmerin Recht und sprach ihr einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung als geschäftsführende Oberärztin zu.

Die Arbeitgeberin könne die Weiterbeschäftigung nicht verweigern, da sie diesbezüglich kein schutzwürdiges Interesse vorweisen könne. Ein solches Interesse bestehe nicht schon darin, dass der neue Chefarzt die Stelle der Arbeitnehmerin mit einem anderen Oberarzt besetzt und so einen Personalüberhang verursacht habe. Auch persönliche Animositäten oder ein nicht mehr passendes Team begründeten kein schutzwürdiges Interesse.

Die Arbeitgeberin habe die Freistellung vielmehr missbraucht, um die Arbeitnehmerin zu Verhandlungen über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu zwingen. Von einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer könne man solche Verhandlungen nicht verlangen.

Durch die Maßnahmen der Arbeitgeberin unmittelbar nach der Freistellung sei die Arbeitnehmerin vollumfänglich von ihrer lehrenden, wissenschaftlichen und krankenversorgenden Tätigkeit ausgeschlossen worden. Deshalb sei es geboten gewesen, mit einer Eilentscheidung abzuhelfen.

Fazit

Der Beschäftigungsanspruch von Arbeitnehmern folgt aus deren Persönlichkeitsrecht. In einem ungekündigten Arbeitsverhältnis muss der Arbeitgeber gute Gründe vorweisen können, weshalb ihm die Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten ist. Nicht jedes Eigeninteresse reicht aus, um den Arbeitnehmer ohne Arbeit nach Hause zu schicken.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil v. 06.02.2020, 3 SaGa 7 öD/19